Wilhelm Mülhens (1762-1841)
geschrieben von Peter Haas
Über einen der bekanntesten Troisdorfer, den Gründer der Firma 4711, Wilhelm Mülhens, gibt es auf lokaler Ebene bereits zwei Darstellungen:
- Rolf Müller, Wilhelm Mülhens – ein großer Sohn unserer Stadt, in: Troisdorf 1952-1962, und Karlheinz Ossendorf, Troisdorfer gründete Duftimperium, Troisdorfer Jahreshefte 17, 1987.
- Ossendorfs Arbeit ist die Grundlage der nachfolgenden Darstellung.
Wilhelm Mühlens´ Vorfahren stammten aus Rheidt. Sein Großvater Heinrich Mülhens übernahm einen Hof in Eschmar und heiratete in zweiter Ehe Margaretha Schmitz aus Uckendorf. Deren sechstes Kind war Jakob Mülhens, der, herangewachsen, Verwalter des Freiherrn Franz von Cortenbach auf Haus Wissem wurde. Jakob heiratete Anna Volberg und hatte mit ihr elf Kinder, deren sechstes unser Wilhelm Mülhens war.
Jakob muss recht bald zu Geld gekommen sein, denn er konnte sich ein herrschaftliches Haus an der heutigen Kölner Straße 1 bauen, das leider Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts der „Sanierung“ zum Opfer fiel. Er muss aber auch unter seinen Mitbürgern sehr angesehen gewesen sein, denn sie wählten ihn in jungen Jahren und dann immer wieder bis zu seinem Lebensende zum Schöffen. Zu seiner Tüchtigkeit gesellte sich Glück. Fast alle seiner elf Kinder überlebten die ersten Lebensjahre, was damals ungewöhnlich war; darüber hinaus machten, was damals noch seltener geschah, die meisten Kinder später Karriere. Franz Mülhens kam – gemeinsam mit seinem Bruder Johann Jacob – als Fuhrunternehmer in Köln zu Wohlstand, gründete in der Schildergasse ein Bankhaus, wurde Mitglied des Kölner Stadtrats und später Gutsbesitzer in Roisdorf. Heinrich Mülhens heiratete nach Koblenz und gründete mit Bruder Johann Theodor dort eine Bank. Während letzterer erfolgreich die Koblenzer Bank weiter betrieb, siedelte Heinrich als Bankier nach Frankfurt um, wo er es – unter anderem durch den Erwerb der Mineralwasserquelle in Selters, aber auch durch Anleihen an bedeutende Adelshäuser wie Metternich-Winneburg und den Landgrafen von Hessen – zu großem Wohlstand brachte. Johann Theodor dürfte durch seine Einheirat in die Bankiersfamilie Schaafhausen der Start ins Berufsleben erleichtert worden sein. Anna Catharina heiratete einen Notar in Köln.
Der Erfolg seiner älteren Brüder dürfte Wilhelm außerordentlich motiviert haben. Wie die meisten seiner Geschwister zog er von dem überaus ärmlichen Troisdorf mit seinen damals kaum 500 Einwohnern nach Köln. Wie man aus den wechselseitigen Patenschaften bei den Kindern der Geschwister schließen kann, hielt die Familie eng zusammen. So kann man als sicher ansehen, dass die älteren Geschwister dem jüngeren Wilhelm gemäß dem schönen rheinischen Motto „Man kennt sich, man hilft sich“ am Anfang seiner steilen Karriere die Steigbügel gehalten haben. Nicht minder förderlich dürfte auch seine Ehe mit Catharina Josepha, Tochter des Kölner Notars Moers, gewesen sein. Für wie bedeutsam Wilhelms Ehe mit der Notarstochter gehalten wurde, ist daraus zu ersehen, dass der Tag der Ehe als Gründungstag der Firma 4711 angesehen und noch 200 Jahre später, 1992, gefeiert wurde. Die Familienlegende dazu hatte man schon Jahrzehnte vor dem Jubiläum geliefert: Ein Karthäusermönch, ein gebürtiger Farina, soll ihm zur Hochzeit das Geheimrezept für das „aqua mirabilis“ geschenkt haben, mit dem Wilhelm Mülhens seine spätere Weltfirma gründete. Diese Geschichte ist zu schön, um wahr zu sein. Denn noch im Kölner Adressbuch des Jahres 1797 steht zu Wilhelm Mülhens lediglich der Vermerk „in Speculationsgeschäften“, während im Steuerregister der Stadt vom Januar 1800 „Guilleaume Mülhens, destillateur d´eau de cologne, Rue de la Cloche (=Glockengasse)“ zu finden ist.
Eine andere unhaltbare Legende ist die, dass die Franzosen, die seit 1794 mit dem gesamten linken Rheinufer auch Köln ihrem Staat einverleibt hatten, die Durchnummerierung der Kölner Häuser veranlasst hätten. Tatsächlich hatte die Stadt Köln dies schon vorher geleistet. Die Franzosen haben allerdings 10 Jahre später die Nummerierung nach Straßenzügen eingeführt.
Wilhelm Mülhens ist keineswegs als Tüftler in Sachen Duftwasser anzusehen. Diese Entwicklung war zu seiner Zeit bereits Teil der Geschichte. Köln hatte Jahrhunderte zuvor als bedeutende Hansestadt einen ausgedehnten Handel sowohl mit Italien als auch mit den Ländern Mitteleuropas und den Anrainern von Nord- und Ostsee. Mit dem Niedergang der Hanse ging es auch mit Köln unaufhaltsam abwärts.
Deutlichstes Zeichen des Niedergangs war die Einstellung der Arbeiten am Dom in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Köln sank herab zur Bedeutungslosigkeit. Dennoch blieben Fernverbindungen weiter bestehen, so dass es in Köln eine große italienische Gemeinde gab. Deren Domäne waren Geschäfte, die nicht unter Zunftzwang standen. Dazu zählten Dienstleistungen wie Bank- und Handelswesen und vom Zunftwesen nicht erfasste Artikel, die unter dem Begriff „französisch Kram“ zusammengefasst wurden. Darunter verstand man Luxusartikel und das duftende Heilwasser, das man unter den Namen „ungarisch Wasser“, „Engelswasser“, „eau admirable“, „aqua imperialis“ oder „aqua mirabilis“ herstellte und vertrieb. Als erster tat dies vom Jahr 1709 an Giovanni Maria Farina, der aus Norditalien stammte. Dieses „Wunderwasser“ galt als Heilwasser, das darüber hinaus angenehm duftete, das man aber vor allem gegen allerlei Leiden verwandte, wie aus einer zeitgenössischen Schrift hervorgeht: „Man bedienet sich des Wassers in- und äußerlich. Innerhalb nimbt man 50 bis 80 Tropfen in weißen Wein, frisch Brunnenwasser oder kalter Fleischbrühe ein. Äußerlich waschet damit das Haupt, den Wirbel, die Schläfe, die Puls-Aderen, die Gewerbe (Gelenke) und die schmerzhaften Glieder. Es ist dieses Wasser ein der herlichsten Heilungs- und ein gesichertes Präservatifmittel wider den Schlag, Schlafsucht als Vorbotehn der Schlag-Flüssen, wider die Fallendesucht wider all Ohnmachten und Herzens-Schwachheiten.“ Da das Wunderwasser eine gute Portion Alkohol enthielt, war die „heilende“ Wirkung so gut wie immer garantiert. Kein Wunder, dass Farina viele Nachahmer fand, so dass man im Verlauf des 18. Jahrhunderts 114 Nachfolgefirmen mit Namen Farina zählte.
Wilhelm war also nur einer von mehreren, die versuchten, mit dem „Wunderwasser“ Geschäfte zu machen. Aber niemand war so erfolgreich wie er. 1804 kaufte er Franz Maria Farina aus Bonn, einem der vielen Farinas, die Namensrechte ab. Dieser Farina hatte von Kurfürst Max Franz das Privileg erhalten, sein Etikett mit dem kurfürstlichen Wappen zu schmücken. Fortan hieß Wilhelms Produkt „Franz Maria Farina 4711“.
Das brachte ihm jahrelangen Rechtsstreit mit dem „echten“ Farina ein. Während dieser Rechtsstreit noch unentschieden war, musste sich Wilhelm seinerseits mehrerer Plagiatoren erwehren. Eine noch größere Krise galt es zu überstehen, als Napoleon, der selbst ein begeisterter Konsument von Kölnisch Wasser war, 1810 ein Gesetz erließ, das die Veröffentlichung der Zusammensetzung aller Heilmittel forderte. Dies bedeutete für die Hersteller von Kölnisch Wasser, sie hätten ihre Geheimrezepturen preisgeben müssen, was sie aber keinesfalls wollten. Zur Lösung des Problems fand sich eine „kölsche Lösung“: Es wurde nicht mehr mit der medizinischen Wirkung des Wunderwassers geworben, sondern einzig mit seinem Wohlgeruch. An seiner Zusammensetzung änderte sich nichts, lediglich die Bewerbung erfuhr eine neue Zielrichtung, sie begrenzte sich auf Duft und Wohlgeruch. Das wird die ältere Kundschaft nicht davon abgehalten haben, das Wasser weiterhin medizinisch einzusetzen.
Niemand war in diesen schwierigen Zeiten so erfolgreich wie Wilhelm Mülhens. Gründe seines Erfolges dürften vor allem darin zu sehen sein, dass er genau der richtige Mann, ein überragender Kaufmann, zum richtigen Zeitpunkt war, dem Punkt nämlich, an dem Parfüm nicht mehr Adelsprivileg war, sondern Bestandteil des durch die Französische Revolution von seinen Fesseln befreiten Bürgertums wurde. Da das linksrheinische Rheinland zu Frankreich gehörte, war er mit seiner Firma Teil des damals größten und wichtigsten Binnenmarktes Europas. Diesen Umstand machte er sich schnell zunutze, indem er in allen großen Städten Frankreichs Niederlassungen gründete, die von ständigen Repräsentanten geleitet wurden. Außerdem erkannte er schnell die Wirkung von Werbung in Zeitungen und Zeitschriften. Ja, man könnte ihn als einen der Pioniere der neuzeitlichen Werbung ansehen. Was wir heute unter Public Relations im allgemeinen und Corporate Identity im besonderen verstehen, scheint er instinktiv beherrscht zu haben: Seine Repräsentanten nannte er „Geschäftsträger des Hauses“, die er durch ein „Original-Certificat“ mit Siegel und eigenhändiger Unterschrift legitimierte, seine Ware zu verkaufen. Sie empfanden es als Auszeichnung, diese Urkunde in Händen zu halten, auf der außer den Schriftzügen ein über einer historischen Darstellung Kölns schwebender Engel zu sehen war, der einer Tuba die himmelwärts strebende Zahl „4711“ entlockte. Die Etiketten auf der Flasche waren einheitlich Türkisgold. Seit 1820 bis auf den heutigen Tag wird das Kölnisch Wasser in der Kropf-Molanus-Flasche verkauft. Wilhelm Mülhens und seine Nachkommen erreichten auf diese Weise den Idealfall, dass die Verbraucher den Firmennamen „4711“ und das Produkt, „Eau de Cologne“, gleichsetzten, wie wir es z. B. auch von „Tempotüchern“, „Pampers“ oder „Coca“ kennen. Selbst das Ende Napoleons und die Neuaufteilung Europas durch den Wiener Kongress konnten den Siegeszug von „4711“ nicht bremsen, denn Mülhens hatte vorgesorgt und sich der neuen politischen Situation angepasst. Schon kurz nach der Völkerschlacht von Leipzig im Oktober 1813, die Napoleons Untergang bedeutete, kontaktierte er die künftigen neuen (alten) Herrscher des Hauses Bourbon und erhielt in deren Auftrag durch den Duc de Pienne den Titel eines königlichen Hoflieferanten und die Erlaubnis, die bourbonische Lilie als Markenzeichen zu benutzen. Napoleons Rückkehr für hundert Tage dürfte ihm einen gehörigen Schrecken bereitet haben, doch mit dem endgültigen Sieg der Alliierten bei Waterloo öffnete sich ihm dauerhaft der französische Markt, wenn er auch Zölle in Kauf nehmen musste. Diesen Nachteil glich er aus, indem er sich verstärkt nach Osten und Südosten orientierte. Berlin, Wien, Budapest, St. Petersburg waren nur die bedeutendsten Niederlassungen der neuen Zeit, die seinem Produkt schließlich den ganzen Globus als Markt öffnete.
Wilhelm Mülhens führte seinen Sohn Peter Joseph frühzeitig in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts in seine Firma ein, so dass dieser, als Wilhelm am 6. März 1841 starb, nahtlos die Erfolgsserie der Firma fortsetzen konnte. Peter und seine Nachkommen waren insbesondere in unserer Region auch in anderen Bereichen erfolgreich. Erinnert sei nur an den Erwerb des Petersberges mit dem Wintermühlenhof und dem späteren Hotelbau auf dem Berg einschließlich der Zahnradbahn und schließlich der Übernahme der Drachenfelsbahn und des Schlosses Röttgen in Heumar und der Gründung des national bedeutsamen Gestüts Röttgen 1924. Heute gehört 4711 zu Procter und Gamble.